Ein genialer Vermittler: dtv feiert 50. Geburtstag

von Jan Stöpel

Stilbildend: Celestino Piattis Cover für den dtv. Bilder: dtv

Ein Verlag feiert ein halbes Jahrhundert seines Bestehens, will sich aber dennoch nicht nur freuen: Bei der Geburtstagsparty des dtv im Haus der Kunst waren auch mahnende Stimmen zu hören. Denn der Deutsche Taschenbuch-Verlag  steht wie die Branche insgesamt vor riesigen Herausforderungen durch das Internet und die Digitalisierung.

 

Am Anfang standen Heinrich Bölls „Irische Tagebücher“. Ein halbes Jahrhundert später, stehen in der Bilanz des Deutschen Taschenbuch-Verlages, besser bekannt als dtv, sechszehntausend Titel in vierhundertdreißigmillionen Exemplaren mit einhundertvierzigmilliarden Seiten und einem Gesamtgewicht von einhundertfünfundzwanzigtausend Tonnen. Es ist eine klare Erfolgsbilanz, die der dtv zu seinem fünzigsten Geburtstag vor vielen Autoren, Händlern und Freunden im Haus der Kunst zog. Und doch überschattete Die Prophezeiung vom Ende des gedruckten Buchs überschattete die Party. „Das E-Book erobert in angelsächsischen Ländern in beängstigendem Ausmaß Marktanteile“, sagte dtv-Verleger Wolfgang Balk.

Im dtv spiegelt sich die Geschichte der Medien der vergangenen fünfzig Jahre. 1961 gewann Caspar David Witsch zehn Verlegerkollegen zu einem bahnbrechenden Projekt: Man schloss sich zur Zweitverwertung der in den einzelnen Verlagen erschienen Bücher im praktischen und billigeren Taschenbuch zum dtv zusammen. Leiter wurde Heinz Friedrich, Mitbegründer der „Gruppe 47“. Seine Feststellung gab das Motto vor: "Wir haben das Taschenbuch nicht erfunden. Aber wir haben etwas daraus gemacht."

Der neue Verlag wuchs. 1971 kam dtv junior dazu. Es gibt kaum einen Leser in Deutschland, den nicht irgendwann dtv-Bücher begleiteten, unverwechselbar dank der von dem Schweizer Celestino Piatti gestalteten Einbände. Doch von den insgesamt 23 Verlagen, die einst den dtv trugen, sind heute nur noch vier übrig, darunter die beiden Münchner Häuser Carl Hanser und C.H. Beck. Der Rest ging in Buchkonzernen auf oder – verschwand.

Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, lobte die „geniale Vermittlertätigkeit“ des dtv. Doch auch er sieht im Internet große Gefahren für München als zweitgrößte Verlagsstadt der Welt und sprach von Internetanbietern als „der Kapitalistenkarikatur, die Champagner aus den Totenschädeln der Autoren trinkt“. Heutzutage die „wachsende Kluft zwischen der lesenden Minderheit und der nichtlesenden Mehrheit“ zu verringern, könne nur „mit den besten Autoren, den überraschendsten Entdeckungen und innovativen Projekten“ gelingen.

Doch andererseits waren Bücher immer mehr als nur Zahlen in einer betriebswirtschaftlichen Rechnung. Davon legten die Verleger und Autoren dieses Abends mit ihrer Person Rechenschaft ab, der Schriftsteller Uwe Timm aber mit seinen Erinnerungen. In einem Taschenbuch, gelesen an einem Strand, in einem Café, ortete er „sinnliche Spuren, die uns kein E-Book vermitteln kann“. Die guten alten Taschenbücher; „buchstäblich zerlesen, sind sie die Urkunden unserer ästhetischen Erfahrung“.

Veröffentlicht am: 28.05.2011

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