"Raging Bull" bei Radikal Jung

Eine Geschichte wie ein Schlag ins Gesicht

von Michael Weiser

Mut zum Pathos: Mathieu Létuvé und Frédéric Faula. Foto: Leclerc & Cielat

Ein Mann, seine Wut, sein Aufstieg und Scheitern: Das ist "Raging Bull", die Lebensbeichte des Box-Weltmeisters Jake LaMotta, inszeniert von Mathieu Létuvé. Nicht unbedingt der Abend zur Lösung aller Probleme der Welt - aber nach all dem Nachdenken über die Grenzen des Theaters bei Radikal Jung 2016 ein willkommen süffiges Ereignis.

Gazevorhänge, auf die vergrieselte Schwarzweiß-Bilder einer amerikanischen Großstadt projeziert werden. Laute Musik, Beats, die man im Magen zu spüren glaubt. Warmes Licht der Scheinwerfer, das zwei Männer aus dem Halbdunkel herausmodelliert und sie vor die Projektionen treten lässt: Es sieht nach Hochglanztheater aus, was Renaud Aubin und William Defresne zusammen mit Olivier Antoncic (Musik) und Eric Guilbaud (Licht) da einrichten. Für eine Show, die mit hohem Tempo das Leben eines Mannes erzählt.

Genauer, die einen Schauspieler von dem Mann erzählen lässt, der er einmal war. Mathieu Létuvé ist der Arrangeur und Regisseur, aber auch der Schauspieler, der den aktuellen Comédien und ehemaligen Champion im wahrsten Sinne verkörpert: Wie er da steht, bereit, die Schultern nach vorne gereckt, die Beine in den Bühnenboden gestemmt, das Gesicht von einer Kapuze verschattet, ist er ein Boxer. Wenn auch einer, der schon geschlagen ist. Die Choreographie von Frédéric Faula unterstreicht diese körperliche Präsenz. Faula kommentiert die Erzählung Létuvés nicht nur, er modelliert sie feinnervig, bis diese Geschichte zu einem ganz und gar plastischen Ereignis wird.

Diese Wut, geradezu animalisch: Frédéric Faula beschreibt LaMottas Leben mit den Mitteln des Tanzes. Foto: Leclerc & Cielat

Es ist die Geschichte eines Kriminellen, den die Wut antreibt, die Wut auf seinen Vater, auf sich, auf das Leben. Die Wut wurzelt in der Angst, alles zu verlieren, Liebe, Geld, Ruf. Die Wut treibt ihn zum Triumph im Ring und lässt ihn im echten Leben gegen Wände laufen. Er wird alles verlieren, der Ganove, der zum Box-Champion wird, zum Barbesitzer, zum Zuhälter und Knastbruder. Im Gefängnis schlägt er sich die Fäuste an der Kerkerwand blutig, er steht sich selbst und seiner Angst als härtestem Kontrahenten gegenüber. Wie Létuvé das erzählt, mit seinem drängenden, beschwörenden Ton, packt einen das unmittelbar. Man meint, das Blut auf den Boden der Zelle tropfen zu hören. LaMotta steht da, ein Verlierer, ein Abgestürzter, wie er es schildert. Aber er behauptet seinen Stolz, ein Mensch zu sein. Das ist der Kern, den er nicht mehr verlieren kann. Auch in seiner späten Karriere als Schauspieler nicht mehr (tatsächlich trat der echte Jake LaMotta als Standup Comedian auf).

Ein Mann, eine Behauptung: Man kann diese Produktion des Caliband Theatre durchaus als konventionell bezeichnen. So wie Létuvé, Faula und Antoncic an den Turntables diese Behauptung auf die Bühne wuchten, mit allem Mut zum Pathos, ist dieses Theater aber aktuell und eigentlich ohnehin zeitlos - ein solches Drama kann einen jederzeit und immer packen.

 

Veröffentlicht am: 28.04.2016

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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