"Maria Stuart" in den Kammerspielen

Kriegenburgs neuester Streich - sie sind Gefangene

von Jan Stöpel

Duell der Königinnen: Brigitte Hobmeier und Annette Paulmann. Foto: Judith Buss

Artgerechte Haltung für Schillers Königinnen-Drama: Andreas Kriegenburg lässt bei "Maria Stuart" weise Zurückhaltung walten und arbeitet an den Kammerspielen mit ruhiger Hand und konzentrierter Sorgfalt eben die Züge heraus, die an diesem Klassiker heute noch faszinieren. Eine Einladung zur Wiederentdeckung.

Andreas Kriegenburg ist ein Regisseur, der sein Bühnenbild selbst entwirft. Das ist an sich bekannt. Man darf sich diese Tatsache trotzdem nochmals ins Gedächtnis rufen, einfach um sich vor Augen zu führen, wie gut hier, bei seiner "Maria Stuart" an den Kammerspielen, seine Bühne seiner Fassung des Textes entspricht.

Also, auf der Bühne der Kammerspiele ist ein monumentaler Raum zu sehen. Es ist ein Raum, der Fotheringhay so gut darstellt wie Westminster, mit Decken aus Stahllamellen (zumindest sehen sie aus wie Metall). Sie können gleißend helles Licht durchlassen, dass man das in diesen Raum gegebene Staatsballett wie in einem Käfig bestaunt. Und sie können das Licht abschirmen, auf dass die Szene im Dämmerlicht versinkt. Dann ist Maria Stuart zu sehen, in ihrem Kerker.

Der Raum wirkt wie aus rohen Betonblöcken zusammengemauert. Und entspricht damit dem Text, wie ihn Kriegenburg und Dramaturg Tobias Staab herausgearbeitet haben. Es gebe keine Nähe zwischen den Figuren, hatte Kriegenburg zuvor gesagt, Sprache dient demnach ausschließlich als Mittel der Manipulation. Wie Blöcke rücken denn auch die Sätze des klug gekürzten und umgestellten Textes aneinander, eher Baumaterial denn Mittel zum Austausch.

Max Simonischek als Mortimer, Brigitte Hobmeier. Foto: Judith Buss

Zum Raum wird hier der Text. Und wir stellen erstaunt fest: Die sind ja alle Gefangene, die Höflinge und Wärter nicht weniger als die beiden Königinnen. Und sie haben sich selbst in diese Lage hineingeredet und -gedacht. Nur einer darf da vorerst durchtänzeln, in seinem moosgrünen Anzug wie auch seinem affektierten Französisch deutlich von den schwarz gekleideten Herren unterschieden: der französische Gesandte (Vincent zur Linden).

Kriegenburg hat sich bewusst für die Sprache Schillers entschieden. An den Kammerspielen verfügt er auch über die herausragenden Akteure für diese Herausforderung. Jochen Noch etwa, der seinen Burleigh als kalten Techniker der Macht anlegt. Gar nicht mehr so verschieden von ihm ist Max Simonischeks Mortimer: Die Glut dieses religiösen Fanatikers ist eine kalte Glut. Zwei Akteure spielen eine Doppelrolle, die auch die Lager der beiden Königinnen spiegelt: Walter Hess ist sowohl Gefangenenwärter der Maria als auch ihr Beichtvater, Wolfgang Pregler sowohl der zur Milde ratende Talbot als auch die Amme der Maria Stuart. Oliver Mallison gibt einen zwiespältigen Leicester, der zwischen den beiden Königinnen so wohl hin und hergerissen ist, wie zwischen der Weichheit des Herzens und der Staatsraison. Die große handwerkliche Klasse der Schauspieler macht es möglich, dass man auch leise Stellen noch vernimmt, auch, wenn manche Sätze mit abenteuerliche Geschwindigkeit gesprochen werden. Nein, nicht gesprochen, gefeuert vielmehr - Worte als Munition.

Brigitte Hobmeier ähnelt als Maria Stuart zunächst mit geschorenem Kopf eher einer Jeane d'Arc. Vertraut erscheint sie uns später,  vorm entscheidenden Gespräch mit Elisabeth zurechtgehübscht - wieder mit langem roten Haar geschmückt. Da hat die Hobmeier wieder dieses Madonnenhafte, das man von ihren schmerzhaften Frauengestalten kennt. Im Gespräch mit Elisabeth stellt sich heraus, dass der angeblich wahre Glaube für sie vieles, wenn nicht alles rechtfertigt. Warum sie dort schmachtet, wo sie denn nun schmachtet? Ihre Unbeugsamkeit hat sie dorthin gebracht, gefangen war sie eigentlich schon zuvor - in ihrem Denken.

Staatsballett: Vincent zur Linden, Walter Hess, Wolfgang Pregler, Edmund Telgenkämper, Jochen Noch, Annette Paulmann und Oliver Mallison. Foto: Judith Buss

Annette Paulmanns Elisabeth  ist das Ereignis dieses Abends. Wie sie die Entscheidung über die Hinrichung Marias in die Hände Davisons zu legen versucht, wie sich da der Wunsch nach Ruhe für immer mit den Skrupeln einer Frau vermischt, ist glänzend gespielt und unbedingt nachvollziehbar. Einerseits fühlt man ja mit dieser Frau, die gegen eine Welt von Feinden steht. Dann wieder erschrickt man vor ihrer Härte. Ganz am Ende meldet man ihr, der Graf von Leicester habe sich davongemacht. Gefasst steht sie bei Schiller, regelrecht verdutzt bei Kriegenburg. '"Ach", sagt Paulmann, und das muss man auch erstmal fertigbringen: so viel Überraschung, Erschrecken und Orientierungslosigkeit in drei Buchstaben zu legen. Dann sinkt der eiserne Vorhang, und es wirkt, als werde die Königin nun endgültig von einem Apparat verschlungen.

In diesen Details ist Schiller neu intepretiert, insgesamt aber hat Kriegenburg weise Zurückhaltung geübt. So ist's, mit all der wunderbaren Sprache des Großdichters Schiller, mit den Kostümen auch, die tatsächlich stark ans 16. Jahrhundert erinnern (Andrea Schraad), keine Neufassung, die Kriegenburg uns aufzwingt. Vielmehr eine Wiederentdeckung, zu der er einlädt.

 

Nächste Termine: 6., 15. und  26. Februar 2015

Veröffentlicht am: 03.02.2015

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