Richard Wagner analysiert von Bernd Oberhoff

„Reise in eine frühe Zeit unseres Lebens“

von Michael Weiser

Reise in die Kindheit: "Das Rheingold" an der Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl

Richard Wagner auf der Couch: In seiner musikpsychoanalytischen Studie entschlüsselt Bernd Oberhoff die Tetralogie des „Rings des Nibelungen“ als ein entwicklungspsychologisches Drama. Wer ihn hört, taucht demnach in eine ganz frühe Zeit seiner Kindheit ein, in der noch nichts recht bewusst ist.

 

 

Gäbe es die Festspiele, gäbe es Bayreuth in seiner heutigen Form, wäre Wagner völlig normal gewesen?

Oberhoff: Wagner war eine vielschichtige Persönlichkeit, in der auch Selbstanteile lebten, die sich ihre kindliche Ursprünglichkeit bewahrt haben. Und ich glaube, dass es speziell diese urtümlichen Anteile in der Person Wagners waren, die es ihm ermöglicht haben, eine Musik zu schreiben, die ihre Heimat in diesen frühkindlichen Feldern hat. Wäre Wagner als Person integrierter gewesen, so hätte er sicher eine andere Musik geschrieben und nicht diese archaische, hochgradig erregte, die uns wie ein Sog in die Frühzeit unseres Lebens zieht.

Sie haben sechzig Jahre einen Bogen um Wagners Musik gemacht. Was hat sie bewogen, dann doch noch in die Rheinfluten zu tauchen?

Als musikpsychoanalytischer Forscher und Autor von Büchern über Opern von Mozart, Weber und Gluck fand ich es irgendwann unumgänglich, mich mit den Musikdramen Wagners vertraut zu machen.

Hört sich nach großer Überwindung an...

Wagners Musik gefiel mir anfangs nicht. Ich empfand sie als schwülstig und pathetisch. Als ich mich dann dem „Ring des Nibelungen“ zuwandte, kam noch die weitere Schwierigkeit hinzu, mich erst einmal mit den Leitmotiven vertraut machen zu müssen und deren Bedeutung zu kennen, um auf der Höhe des Geschehens zu sein. Also, der Anfang war mühevoll, aber je tiefer ich in das Werk eindrang, desto mehr wandelte sich meine Abneigung zu Bewunderung und schließlich zu Faszination.

Es gibt dieses berühmte Bild der sitzenden, voller Verehrung zu Wagner aufblickenden Cosima, auf die Wagner wiederum mit Güte herabzublicken scheint. Was verrät das Bild über die Beziehung der beiden?

So wie Sie das Bild beschreiben, sollte es nach Wunsch der beiden wohl auch auf den Betrachter wirken. Doch in Wahrheit sieht man, dass Cosima die große und mächtige Frau ist, die sich nur vom Stuhl zu erheben bräuchte, um ihren Ehemann an Größe zu überragen und Wagner schaut Cosima mit einem Gesichtsausdruck an, als würde er ihr gerade gestehen: „ohne dich bin ich nichts“.

Was er ja wirklich geäußert hat.

Ja, natürlich. Allmorgendlich hat er Cosima mit überschwänglichsten Komplimenten überrascht, sie sei für ihn eine göttliche Offenbarung, eine Mater gloriosa und ohne sie könne er nicht existieren.

Wie war denn Wagners Verhältnis zu seiner Mutter?

Zur Zeit von Wagners Geburt herrschte Krieg, und Mutter Johanna hatte alle Hände voll damit zu tun, das Überleben der Familie zu sichern. Da ist für das letzte der neun Kinder wohl nicht genügend an mütterlicher Zuwendung und Aufmerksamkeit übrig geblieben, und diese Unterversorgung hatte einschneidende Folgen für Wagner weiteres Leben. Dazu gibt es in meinem Buch Ausführlicheres zu lesen.

Man kann sich nicht hundertprozentig sicher sein, wer sein Vater war. Welche Rolle spielt diese Figur in seinem Leben?

Nun, diese Frage, kann auch ich nicht beantworten. Offiziell hat Wagner stets gut von Ludwig Geyer gesprochen. Doch seine Gefühle waren andere. Mit 60 Jahren fiel Wagner eine Szene ein, wo der Stiefvater ihn ausgepeitscht hat, während die Schwestern vor der Tür geweint und gefleht haben, den Bruder zu verschonen. Diese massive Gewalterfahrung hatte Folgen und hat Wagners Vaterbild negativ beeinflusst.

Der Tannhäuser mit seinen erotischen Verirrungen, der nach Erlösung schmachtende Parsifal – geben die nicht genauso viel her wie der Ring?

Der „Ring“ ist unter all seinen Werken das genaueste Abbild von Wagners innerer Konfliktlandschaft. Die romantischen Opern sind psychologisch gesehen Vorarbeiten, wo diese Konflikte punktuell vorkommen, als Facetten. Aber so stringent wie im „Ring“ sind sie dort nicht ausgeführt.

In aller Kürze – skizzieren Sie doch bitte mal ein Psychogramm Richard Wagners. Was für ein Typ war er?

Wagners Person ist nach meiner Recherche eine dissoziative Persönlichkeit, die ganz unterschiedliche Anteile enthält. Es gibt leicht erregbare, ja übereregbare und anscheinend normale. Es wird nicht gelingen, Wagner als eine festgefügte, einheitliche Person aufzufassen. Er changierte zwischen verschiedenen Ich-Zuständen hin und her. Deswegen sind alle Zuschreibungen von Charaktereigenschaften doch sehr mit Vorsicht zu genießen.

Was, wie Sie argumentieren, auch für seine Äußerungen gegen die Juden zutrifft.

Ja, seine Affekte gegen die jüdische Kultur stehen in engem Zusammenhang mit seinem negativen Vaterbild. Wagner zeigte starke Affekte gegen Regeln und Gesetze erlassende väterliche Autoritäten. Alle Verbote des ödipalen Vaters, nämlich den Inzest mit der Mutter, den Vatermord und die Beachtung des Generationenunterschiedes werden im „Ring“ missachtet und über den Haufen gerannt. Und da die jüdische Kultur eine vaterrechtliche ist, fällt auch sie in dieses Feindschema.

Seine Schrift gegen das Judentum in der Musik bewegt sich aber doch auf der Höhe der Zeit, und sie endet mit der Bezeichnung der Juden als „Rasse“, was neu ist. Das sieht jetzt aber doch eher nach Gedankengebäude, nach Weltanschauung aus denn als Reflex.

Wenn ein Themenkomplex wie der der väterlichen grenzensetzenden Autorität mit starken Affekten belegt ist, dann kann dies auch das Denkvermögen in Mitleidenschaft ziehen und ein grundsätzlich gutes intellektuelles Niveau stark absinken lassen.

Wie viel Wagner steckt in Siegfried?

Wagner steckte in allen seiner Helden. Bei Siegfried hat ihm immer besonders imponiert, dass dieser keine Angst hat, vor allem nicht vor Vaterfiguren. So gefällt ihm, dass Siegfried seinen Ziehvater erschlägt, genauso wie den Riesen Fafner. Beim Göttervater beschränkt sich die Attacke auf das Zerschlagen des Speers. Schaut man genauer hin, so ist es bei Siegfried letztlich die übergroße Angst, die ihn dazu treibt, mit einem vernichtenden Erstschlag einer gefürchteten Vernichtung durch diese Vaterfiguren zuvorzukommen. Das ist auch der Grund dafür, dass er in seinem Allmachtswahn, seinen kindlichen Phallus für omnipotent und unbesiegbar hält (Schwert Nothung), das heißt, allen väterlichen Phalli haushoch überlegen.

Was verrät der „Ring“ über denjenigen, der ihn gerne hört?

Der „Ring“ führt in eine ganz frühe Zeit unseres Lebens, wo ein reifes und stabiles Ich noch nicht zur Verfügung stand. Wie die Helden des Rings so haben auch wir nicht alle Entwicklungsaufgaben damals gut gelöst, sondern zu Kompensationen und Abwehrmaßnahmen Zuflucht genommen. Was uns dann aber beim Anschauen des „Rings“ so angenehm beruhigt, ist die Tatsache, dass unser Scheitern nicht ganz so dramatisch ausgefallen ist wie jenes der Wagnerschen Helden.

 

Diplom-Psychologe Oberhoff. Foto: Bernd Oberhoff

Der Musikpsychoanalytiker Bernd Oberhoff veröffentlichte Studien bereits zu verschiedenen Komponisten. Zuletzt erschien von ihm „Richard Wagner. Der Ring des Nibelungen. Eine musikpsychoanalytische Studie“ im Psychosozial-Verlag (39,90 Euro).

Veröffentlicht am: 19.07.2013

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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