Cellistin Anja Lechner: Eine Beziehung fürs Leben - live im Prinzregententheater

von kulturvollzug

„Ich glaube, dass ein Instrument und ein Mensch zusammenfinden wie zwei Menschen“, sagt Anja Lechner. Foto: S. W. Pakzad

Die Münchner Cellistin Anja Lechner ist in der Welt zuhause, in fremden Klangkulturen, die in Armenien, Griechenland oder Frankreich ihre Heimat wissen. Portrait einer ungewöhnlichen Künstlerin.

Jetzt braucht Anja Lechner dann wohl doch ein zweites Cello. Vielleicht eines aus Carbon. Früher hat die Münchnerin sich mit ganz handelsüblichen Techniken über die Saiten ihrer Kniegeige hergemacht, sie mit dem Bogen bestrichen, an ihnen mit den Fingern gezupft. Gut, ab und zu, wenn Kompositionen aus der Neuen Musik anstanden, dann waren auch schon mal etwas unkonventionelle Methoden zur Klangerzeugung gefordert.

Aber das, was einer ihrer Improvisationspartner, der italienische Percussionist Michele Rabbia ihr neuerdings nahezubringen versucht, lässt sie um ihr dreihundert Jahre altes Instrument fürchten. „Er hat mir gezeigt, wie man den Klang den Cellos verfremden kann: mit Papier, Metall, Kugeln, Schlegeln, Elektronik. Das ist für mich total faszinierend. Wenn ich mit ihm improvisieren möchte, muss es in diese offene Richtung gehen. Da kann ich nicht einfach nur schön Cello spielen – das genügt nicht.“

Diese ungewohnte, etwas wildere Seite der Anja Lechner wurde bisher noch nicht dokumentiert. Eher kennt man sie aus sehnsuchtsvollen Musiken, die sie mit Künstlern aus aller Welt gestaltet, aus wehmütigen Stimmungsbildern, die ihrem Naturell entsprechen. „Die Melancholie? Sie ist ein Grundtenor in mir, der immer wieder in Schwingung gebracht werden will.“ Und mit dem Cello funktioniert das bestens.

„Ich glaube, dass ein Instrument und ein Mensch zusammenfinden wie zwei Menschen“, befindet Anja Lechner beim Interview im einstigen Proberaum, des mittlerweile aufgelösten Rosamunde Quartetts, dessen Gründungsmitglied sie war. „Das ist einfach eine Beziehung, die ein Leben lang halten soll“, sagt sie. „Das Cello ist eines der menschlichsten Instrumente, weil es der Stimme in ihren Höhen und Tiefen sehr nahe kommt. Und dann gibt es da das Körperliche: man umarmt es förmlich beim Spielen. Das Cello ähnelt sogar dem menschlichen Körper.“

Natürlich hat sie sich erst einmal das übliche Repertoire angeeignet, als sie das Instrument ihres Großvaters übernahm. „Bis zum 15. Lebensjahr habe ich an gar nichts anderes gedacht als an Klassische Musik. Doch dann fing ich vorsichtig mit dem Münchner Pianisten Peter Ludwig das Improvisieren an. Und ich merkte plötzlich: man kann ja auch ganz andere Dinge mit dem Cello machen. Ich fand das spannend und beängstigend zugleich.“

Doch die Einschüchterung, die mit den neuen Möglichkeiten einherging, verflüchtigte sich schnell. Rasch bekam sie Übung darin, sich nicht nur an Noten und deren Interpretation zu klammern, sondern sich innerhalb und außerhalb der Form frei zu bewegen, melodisches Material zu variieren, spontanen Eingebungen zu folgen. Heute ist sie eine gefragte Improvisatorin, die mit Gleichgesinnten zwischen musikalischen Welten wandert - etwa mit dem griechischen Pianisten Vassilis Tsabropoulos, mit der italienischen Sängerin Maria Pia de Vito oder dem französischen Klavierspieler und Komponisten François Couturier, der sie für sein Tarkovsky-Projekt gewann.

„Keine der Musiken, die ich mache, lässt sich klar einordnen. Viele der Musiker, mit denen ich spiele, sind sehr in der Musiktradition ihrer Heimat verwurzelt. Dino Saluzzi ist da vielleicht der extremste.“

Mit dem 76-jährigen argentinischen Bandoneonvirtuosen arbeitet sie schon einige Jahre zusammen. Er hat den Tango im Blut, aber die große weite, manchmal unbekannte Klangwelt im Visier. „Dino Saluzzi ist ein Meister der Brüche. Deshalb verharrt er auch nie lange in einer Stimmung. Das ist auch das Wesen des Tangos. Da gibt es etwa diese abrupten Unterbrechungen – auch im Tanz kann man sie beobachten.“

Besonders erstaunt hat Anja Lechner das Zeitempfinden des Südamerikaners. „Durch ihn hat sich mein Rhythmusgefühl sehr verändert. Sein Puls wirkt auf mich wie verlangsamt. Als klassischer Musiker hat man eher die Tendenz nach vorne zu spielen. Deshalb habe ich auch manchmal das Gefühl: er schleppt. Aber wenn ich ein Metronom aufstelle, merke ich: er schleppt gar nicht. Seine Unabhängigkeit von durchgehendem Puls und Rubato in der Melodie fasziniert mich.“

Und wie kommen die ganz unterschiedlichen Mentalitäten der beiden miteinander klar? Anja Lechner: „Dino und ich wissen um unsere Andersartigkeit. Das ist ja auch das Spannende. Ich orientiere mich nicht nur an ihm, er orientiert sich auch an mir. Es ist ein Austausch, ein Gespräch.“ In das greift jetzt auch Dinos Saluzzis jüngerer, Saxofon und Klarinette spielender Bruder Felix mit ein. „Felix und ich verstehen ums nonverbal. Er spricht nur Spanisch, ich leider nicht. Und trotzdem wissen wir immer, was der andere meint, manchmal sogar besser als mit Sprache. Er hat mir das größte Kompliment gemacht. Nach unserer gemeinsamen Aufnahme mit Dino („Navidad des los Andes“, erschienen bei ECM/ Anm. d. Verf.) nannte er mich Anja Saluzzi.“

Ssirus W. Pakzad

Am Mittwoch (15.  Februar 2012) gastiert Anja Lechner mit dem argentinischen Bandoneon-Virtuosen Dino Saluzzi und dessen jüngeren Bruder Felix Saluzzi (Saxofon, Klarinette) um 20 Uhr im Münchner Prinzregententheater.

 

Veröffentlicht am: 14.02.2012

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